Kann der freie Wille des Menschen im Widerspruch zum göttlichen Wissen stehen?

Antwort

Die Frage berührt ein zentrales Thema der Theologie und Philosophie: das Verhältnis von göttlichem Vorwissen und menschlichem freien Willen. Nach klassisch-theistischer Auffassung – etwa im Christentum, Judentum und Islam – gilt Gott als allwissend, also als jemand, der alles, was geschehen wird, seit Ewigkeit weiß. Daraus ergibt sich das sogenannte "Vorherwissensparadoxon": Wenn Gott schon immer weiß, wie ein Mensch sich entscheiden wird, kann dieser dann überhaupt anders handeln? Oder ist sein Wille dadurch determiniert? Die meisten klassischen Theologen und Philosophen (z.B. Thomas von Aquin, Augustinus) argumentieren, dass Gottes Wissen nicht Ursache der menschlichen Entscheidung ist. Gott weiß zwar, wie sich der Mensch entscheiden wird, aber dieses Wissen hebt die Freiheit der Entscheidung nicht auf. Es ist vergleichbar mit einem Zuschauer, der weiß, wie ein Film endet, aber nicht Ursache für das Ende ist. Demnach: Der freie Wille des Menschen "fällt" immer so aus, wie Gott es weiß, aber nicht, weil Gott es weiß, sondern weil der Mensch sich so entscheidet. Das göttliche Wissen steht also nicht im Widerspruch zum freien Willen, sondern ist dessen "zeitlose" Kenntnis. Allerdings gibt es auch andere Positionen, etwa den Determinismus oder den Molinismus (Luis de Molina), die versuchen, das Verhältnis von göttlichem Wissen und menschlicher Freiheit anders zu erklären. Zusammengefasst: Nach klassischer Auffassung kann der freie Wille des Menschen nie im Widerspruch zum göttlichen Wissen stehen, aber das göttliche Wissen ist nicht Ursache der Entscheidung, sondern deren vollkommene Kenntnis.

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