Die Erkenntnisregel (engl. "rule of recognition") spielt in H.L.A. Harts Rechtsphilosophie eine zentrale Rolle. Sie ist ein konstitutives Element seines Konzepts des Rechtssystems und dient dazu, die Gültigkeit von Rechtsnormen innerhalb eines bestimmten Rechtssystems zu bestimmen. Laut Hart besteht ein Rechtssystem aus primären und sekundären Regeln. Primäre Regeln sind Verhaltensregeln, die Pflichten auferlegen, während sekundäre Regeln sich auf die primären Regeln beziehen und deren Anerkennung, Änderung und Durchsetzung regeln. Die Erkenntnisregel ist eine der drei Arten von sekundären Regeln (neben Änderungsregeln und Durchsetzungsregeln). Die Erkenntnisregel hat folgende Funktionen: 1. **Identifikation von Rechtsnormen**: Sie legt fest, welche Kriterien eine Norm erfüllen muss, um als gültiges Recht anerkannt zu werden. Dies kann beispielsweise durch Bezugnahme auf eine Verfassung, gesetzgeberische Akte oder richterliche Entscheidungen geschehen. 2. **Systematische Einheit**: Sie schafft eine systematische Einheit innerhalb des Rechtssystems, indem sie eine gemeinsame Basis für die Anerkennung von Rechtsnormen bietet. 3. **Autorität und Legitimität**: Sie verleiht den Rechtsnormen Autorität und Legitimität, indem sie die Quelle und die Verfahren zur Anerkennung von Recht festlegt. 4. **Stabilität und Wandel**: Sie ermöglicht sowohl die Stabilität des Rechtssystems als auch dessen Wandel, indem sie festlegt, wie neue Normen eingeführt und bestehende Normen geändert oder aufgehoben werden können. Insgesamt ist die Erkenntnisregel bei Hart ein fundamentales Konzept, das die Struktur und Funktionsweise eines Rechtssystems erklärt und die Grundlage für die Unterscheidung zwischen rechtlichen und nicht-rechtlichen Normen bildet.