Was sind die Unterschiede zwischen der aristotelischen Dramentheorie und der Dramentheorie von Dürrenmatt?

Antwort

Die aristotelische Dramentheorie und die Dramentheorie von Friedrich Dürrenmatt unterscheiden sich in mehreren wesentlichen Punkten: 1. **Ziel und Zweck des Dramas:** - **Aristoteles:** In seiner "Poetik" beschreibt Aristoteles das Drama als eine Nachahmung von Handlungen, die Mitleid und Furcht erregen und dadurch eine Katharsis (Reinigung) der Emotionen bewirken sollen. Das Ziel ist es, das Publikum emotional zu bewegen und moralisch zu läutern. - **Dürrenmatt:** Dürrenmatt sieht das Drama eher als Mittel zur Darstellung der Absurdität und Widersprüchlichkeit der menschlichen Existenz. Er betont die Unvorhersehbarkeit und das Chaos des Lebens, oft mit einem pessimistischen Unterton. Sein Ziel ist es, das Publikum zum Nachdenken und zur Reflexion über die Absurditäten der modernen Welt anzuregen. 2. **Struktur und Aufbau:** - **Aristoteles:** Er legt großen Wert auf eine klare Struktur mit einer Einheit von Handlung, Zeit und Ort. Ein Drama sollte eine geschlossene Handlung haben, die innerhalb eines Tages an einem einzigen Ort stattfindet. - **Dürrenmatt:** Dürrenmatt bricht bewusst mit diesen klassischen Einheiten. Seine Dramen sind oft fragmentarisch und episodisch aufgebaut, mit mehreren Handlungssträngen und Schauplätzen. Er betont die Komplexität und Vielschichtigkeit der Realität. 3. **Charaktere:** - **Aristoteles:** Die Charaktere in einem aristotelischen Drama sollten edel und tugendhaft sein, aber auch menschliche Schwächen zeigen. Sie sind oft idealisierte Figuren, die moralische und ethische Fragen verkörpern. - **Dürrenmatt:** Dürrenmatts Charaktere sind oft anti-heroisch und widersprüchlich. Sie sind gewöhnliche Menschen, die in außergewöhnliche Situationen geraten und deren Handlungen oft von Zufall und Ironie bestimmt werden. 4. **Schicksal und Zufall:** - **Aristoteles:** Das Schicksal spielt eine zentrale Rolle in der aristotelischen Dramentheorie. Die Handlung entwickelt sich nach einem logischen und notwendigen Verlauf, der oft durch das Schicksal bestimmt wird. - **Dürrenmatt:** Dürrenmatt betont den Zufall und die Unvorhersehbarkeit des Lebens. In seinen Dramen sind die Ereignisse oft absurd und unlogisch, was die Unsicherheit und das Chaos der menschlichen Existenz widerspiegelt. 5. **Sprache und Stil:** - **Aristoteles:** Die Sprache in einem aristotelischen Drama sollte gehoben und poetisch sein, um die Erhabenheit der Handlung und der Charaktere zu unterstreichen. - **Dürrenmatt:** Dürrenmatt verwendet eine einfache, oft lakonische Sprache, die die Absurdität und Ironie seiner Geschichten betont. Sein Stil ist oft satirisch und grotesk. Diese Unterschiede spiegeln die unterschiedlichen philosophischen und ästhetischen Ansätze der beiden Theoretiker wider und zeigen, wie sich das Drama im Laufe der Jahrhunderte entwickelt hat.

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