Warum gilt Body Integrity Dysphoria als psychische Störung, Geschlechtsdysphorie aber nicht?

Antwort

Body Integrity Dysphoria (BID) und Geschlechtsdysphorie werden beide als ernstzunehmende psychische Phänomene betrachtet, aber sie werden gesellschaftlich und medizinisch unterschiedlich bewertet. Das liegt an mehreren Faktoren: **1. Medizinische und gesellschaftliche Anerkennung:** - **Geschlechtsdysphorie** ist im medizinischen und gesellschaftlichen Diskurs zunehmend als eine Variation menschlicher Identität anerkannt. Viele Fachgesellschaften und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) haben die Pathologisierung von Transidentität zurückgenommen. Die Behandlung (z.B. Hormontherapie, geschlechtsangleichende Operationen) wird als Möglichkeit gesehen, das Wohlbefinden der Betroffenen zu steigern. - **Body Integrity Dysphoria** hingegen ist weniger erforscht und gesellschaftlich kaum anerkannt. Die Vorstellung, einen gesunden Körperteil amputieren zu wollen, wird meist als Symptom einer psychischen Störung betrachtet, da sie mit erheblichen Risiken und Einschränkungen verbunden ist. **2. Risiko-Nutzen-Abwägung:** - Bei **Geschlechtsdysphorie** zeigen Studien, dass medizinische Maßnahmen (wie Operationen oder Hormontherapie) die Lebensqualität und psychische Gesundheit der Betroffenen deutlich verbessern können. - Bei **BID** gibt es kaum wissenschaftliche Belege, dass eine Amputation langfristig zu einer Verbesserung des Wohlbefindens führt. Die Risiken (z.B. Behinderung, Komplikationen) werden als sehr hoch eingeschätzt. **3. Historische und kulturelle Entwicklung:** - Die Akzeptanz von Transidentität ist das Ergebnis jahrzehntelanger gesellschaftlicher und politischer Kämpfe. Die Sichtweise auf Geschlechtsdysphorie hat sich gewandelt: Weg von einer "Störung", hin zu einer Identitätsvariante. - BID ist ein relativ neues Phänomen im öffentlichen Diskurs und wird noch überwiegend pathologisiert. **4. Funktionalität und gesellschaftliche Teilhabe:** - Geschlechtsangleichende Maßnahmen ermöglichen es trans Personen oft, besser am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. - Eine Amputation bei BID führt zu einer Behinderung, was gesellschaftlich als Einschränkung gesehen wird. **Fazit:** Die unterschiedliche Bewertung hat also mit medizinischer Evidenz, gesellschaftlicher Akzeptanz, Risikoabwägung und historischer Entwicklung zu tun. Während Geschlechtsdysphorie heute als Identitätsvariante mit medizinisch unterstützender Behandlung gesehen wird, gilt BID weiterhin als behandlungsbedürftige psychische Störung, da die angestrebte körperliche Veränderung als schädlich und nicht als förderlich für das Wohlbefinden betrachtet wird. Weitere Informationen: - [Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung: Geschlechtsdysphorie](https://dgfs.info/) - [ICD-11: Body Integrity Dysphoria](https://icd.who.int/browse11/l-m/en#/http://id.who.int/icd/entity/1430333422)

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